Manchmal wird einem klar, dass sich ein bestimmter Lebensplan nicht in der gewünschten Weise umsetzen lässt. Man kann darüber klagen und unzufrieden sein oder man schöpft die Möglichkeiten der jeweiligen Situation aus und findet Alternativen.
Eine meiner wichtigsten Überzeugungen und Mottos ist ja: „Einfach machen!“ Nun lebe ich in der Stadt in einer Mietswohnung mit beschränkten Möglichkeiten in Bezug auf meine Lieblingsbeschäftigung, das Aufarbeiten und Gestalten von Möbeln. Und wie geht das dann, dieses einfach machen? Davon möchte ich in diesem Beitrag erzählen.
Was ich immer wollte!
In der 5. Klasse zogen meinen Eltern mit mir und meinen Geschwistern aus einer mittelgroßen Stadt aufs Land. Wenn ich den mit Kindheitserinnerungen gefüllten Sack öffnen würde, würden Unmengen davon herausquellen. Es war es eine Zeit, wie sie schöner, reichhaltiger, bunter, eindrücklicher und prägender nicht hätte sein können. Vielleicht nur so viel: ein altes unsaniertes Pfarrhaus auf einem verwunschenen Grundstück mit dicken alten Bäumen, eine Löwenzahnwiese im Frühling, gesäumt von Pflaumenbäumen, ein eigenes kleines Beet für mich allein mit zwei Meter hohen Sonnenblumen, Schmuckkörbchen und Malven, ein Hexenhaus mit einem gemauerten Backofen, Brombeerhecken, Brennnessel-Dschungel, Bäume in die man mutig hoch hinaufklettern und vom Wind durchgeschaukelt werden konnte, eine kleine alte Fachwerkscheune, eine Dorfschule, ein Reitverein, Schafe, Katzen, Hunde, Kaninchen, Kohle-Öfen, eine funktionierende Schwengelpumpe, Herbstfeuer, Riesenboviste im Maisfeld, Sonnenblumenstängel rauchen, mit zwei Geschwistern und anderen Dorfkindern spielen…
Seit ich so aufwachsen durfte, weiß ich, dass ich auf dem Land leben will. Jahrzehntelang habe ich mir vorgestellt, in welcher Art altem Haus ich leben und was ich da tun würde: Möbel aufarbeiten, Töpfern, Kacheln herstellen, Brot backen, Zäune bauen, einen Garten haben, Marmeladen kochen. Und natürlich wollte ich diese Leben auch für meine Kinder.
Was ich aber hatte!
Seit meinem Studium lebte ich durchweg in der Stadt. Jeglicher Versuch, ein Haus zu kaufen, verlief im Sand und funktionierte aus bestimmten Gründen nicht. Wenn mich Leute besuchten, hieß es oft: Julia, wenn jemand auf dem Land leben sollte dann DU. Und warum das? Weil ich es anscheinend irgendwie verkörperte, sowohl als Person mit meiner Kleidung, meinen Ansichten, meiner Denke, als auch im Blick auf meine Einrichtung oder Interessen. Priorität hatte immer die Waldorfschule. Ich wollte unbedingt, dass unsere Kinder eine besuchen können, zumal ich selbst ja Waldorflehrerin wurde – aber Waldorfschulen gab es fast nur in der Stadt.
Und da sind wir beim eigentlichen Thema angekommen. Alles das, was ich mir vorstellte, was ich mir erträumte, musste ich in der Stadt machen. Natürlich sagte ich mir häufig: WENN ich erstmal auf dem Land lebe, DANN… Und gleichzeitig wollte ich JETZT leben! So begann ich trotz der äußeren, limitierenden Umstände zu machen. Tat ich das, kamen mir die Umstände auch wiederum entgegen. So lebten wir beispielsweise überwiegend in unsanierten Altbauwohnungen. Da gab es immer Räume, in denen ich werkeln konnte oder die wir uns so gestalteten, wie wir wollten. Wir hatten Ofenheizungen oder stellten einen Kaminofen auf, weil selber zu heizen elementares Wohnen für mich bedeutet. Es gab auch immer alte Holztüren, die ich abbeizen und bearbeiten konnte.
Und es gab immer einen Hinterhof, in den ich meine Arbeitsböcke stellen und die Möbel schleppen konnte. Und das tue ich immer noch. Kleinere Arbeiten mache ich auf dem Balkon, den ich anschließend putzen muss, denn wir halten uns ja dort auch auf. Und größere Arbeiten verlagere ich in den Hof.









Wohnung und Werkraum
Wenn ich in meinem Zimmer arbeite, streiche, öle oder Papiere klebe, öffne ich die Schränke, hole meine Kisten raus und breite aus, was ich benötige. Das ganze Zimmer ist dann vollgestellt. Ich muss nach jedem Arbeiten alles wieder wegräumen, sonst kann ich mich nicht bewegen.
Und wenn es umfassendere Schleifarbeiten gibt, dann hänge ich meine Kabeltrommel im zweiten Stock über die Balkonbrüstung in den Hof hinunter, trage den Schleifer, die Kisten, die Werkstücke, den Wassereimer, die Putzlappen, mein Getränk und was ich noch benötige, nach unten und – wenn ich alles beendet habe – wieder nach oben. Viele Werkstücke entstehen in Etappen, müssen mehrmals geschliffen werden oder trocknen, dann stehen sie überall herum, in meinem Zimmer oder im Flur, während der Familienalltag weiter geht… Es gibt also keinen Raum, der nur für diese Arbeit vorgesehen ist oder einen trockenen Keller, in dem ich meine Arbeitsmittel aufbewahren kann. Ich habe einen Schrank in meinem Zimmer, in dem meine Werkzeugkisten stehen, sofern sie dort überhaupt einen Platz gefunden haben.
Gleichzeitig liebe ich eine schön eingerichtete, aufgeräumte Wohnung, ich liebe es, zu wohnen, also mit meinen ganzen Sachen zu Sein, was wirklich manchmal schwer ist, wenn überall etwas herumsteht. Ich muss ständig putzen oder räumen und Dinge hin- und her- und hoch- und runtertragen. Außerdem habe ich Nachbarn, auf deren Ruhebedürfnis ich achten möchte. Und ich habe noch nicht einmal eine freie Wand, vor der ich meine Möbel fotografieren kann. Ja, ich könnte mir eine bewegliche Wand bauen, doch auch die benötigt Stellplatz.
Was sich aber auch daraus ergibt ist, dass ich genau überlege, was ich wirklich brauche. Ich sortiere ständig alles durch und entferne Dinge, die ich nicht hundertprozentig schön finde, weil ich weiß, dass ich sie deshalb nicht benutzen werde: Bücher, Unterlagen, Papiere, Stoffe, Werkmittel…
Wo lasse ich mein ganzes Zeug?
Das also, was ich aktuell bearbeite, steht irgendwo in meiner Wohnung. Es gibt aber auch Möbel, die bis zur Bearbeitung aufbewahrt oder untergestellt werden müssen. Dafür gibt es einige Möglichkeiten. Jahrelang hatte ich verschiedene Teile in der Scheune meines Schwagers untergestellt, anderes steht bei meinen Schwiegereltern im Haus und wieder andere Stücke warten in der Werkstatt meines Vaters auf ihre Bearbeitung. Ich bin sehr froh, dass ich diese Möglichkeiten habe. Und doch ist es mit Fahrerei verbunden, denn die Orte befinden sich über 200km entfernt von Leipzig.
Ich bin ein durch und durch ländlicher Mensch und muss täglich schauen, wie ich kleine Facetten davon in der Stadt umsetzen kann. Es ist ein immerwährendes Ringen, weil ich mich grundsätzlich am falschen Ort fühle und dennoch hier unser Leben stattfindet.
Landleben in der Stadt
Ich versuche über die Jahre so viel wie möglich von dem zu tun, was mir dieses bestimmte Lebensgefühl gibt. Beispielsweise stehe ich sehr früh am Morgen auf und bewege mich durch die Stadt, wenn sie noch leer ist. Ich mache Regenspaziergänge, dann sind in der Natur auch kaum Leute unterwegs. Wir picknicken am See, um draußen und am Wasser zu sein. Oder in einem Sommer hatte ich in großen gelben Postkisten und anderen Behältnissen einen Balkongarten gestartet. Paprika, Tomaten, Zucchini und sogar drei Mini-Auberginen konnte ich ernten. Doch ich musste erkennen, dass der Balkon zu wenige Stunden am Tag direkte Sonne bekam, und ich baute das Projekt wieder zurück.






Ich sammle im Juni Holunderblüten, bunte Wildpfläumchen an den Feldern im August und im September Brombeeren in den Stadtparks und koche Marmelade. Jeder Frühling beginnt hier in Leipzig mit Unmengen von Bärlauch, den man für seinen Bedarf pflücken kann. Ich backe seit Ewigkeiten unser Brot und mahle das Korn in einer Mühle. Natürlich gibt es noch viel, viel mehr, es würde einen eigenständigen Beitrag zu diesem Thema ergeben. In unserem Stadtleben gab es – auch in Verbindung mit unserem Waldorfleben – immer vieles für die Sinne – und ich glaube das ist es, was ich mit dem Landleben vor allem verbinde: Mit allen Sinnen leben!
Und dies noch zum Abschluss…
Ich hatte das Thema in meinem letzten Monatsrückblick ausgearbeitet, bevor ich daraus diesen Einzelbeitrag für meine Möbelseite machte. Und wie das manchmal so ist, wenn man mit einem Thema unterwegs ist, man wird aufmerksamer.
So gibt es in Leipzig den Makerspace – eine offene, selbstverwaltete Mitmach-Werkstatt in Gohlis, in der jeder seine kreativen und handwerklichen Ideen verwirklichen kann. Dort gibt es Bereiche wie Holz, Metall, Keramik, Textil, Siebdruck, 3D-Druck, eine Fahrradwerkstatt u.v.m. Im Makerspace Leipzig treffen kreative Köpfe, Tüftler und Handwerker aufeinander, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten und voneinander zu lernen. Und für fast jede Idee gibt es den nötigen Raum und Werkzeuge.
Außerdem bin ich auf die kleine Doku, Handwerk, Kunst und Leidenschaft: Wie elf Frauen ein Atelierhaus in Bochum bauen, aufmerksam gemacht worden. Ein kurzer WDR-Beitrag und dennoch ein inspirierendes Beispiel für Selbstorganisation und gemeinschaftliches Arbeiten. Ich vermute mal, auch du kannst sofort spüren, wie einfach das Herz aufgeht, wenn du das siehst!
Solche Dinge zu erfahren, weitet einfach den Space und macht die eigene kleine Gedankenwelt schlagartig größer!