In diesem Beitrag möchte ich einen kleinen Einblick in meine Arbeit als Hörbuchsprecherin geben. Wenn ich daran gehe, Texte für ein neues Hörbuch einzusprechen, benötige ich viele Stunden freier und ungestörter Zeit. Ich fange gern an, sobald alle aus dem Haus sind. Und eigentlich ist meine Stimme dann noch nicht ganz da. Ich muss sie aufwärmen. Eine gute Vorbereitung meiner Stimme vor dem Einsprechen ist wichtig, um klar, kraftvoll und ausdrucksstark zu klingen — und auch, um die Stimme zu schonen.
Den Körper & die Atmung wecken
Bevor ich die Stimme vorbereite, bringe ich meinen Körper in Schwung. Vielleicht war ich morgens bereits laufen. Wenn nicht, dehne und strecke ich mich. Ich lasse die Schultern kreisen und lockere meinen Nacken, denn ich werde viele Stunden lang sitzen. Außerdem mache ich mir in der Winterzeit eine Wärmflasche, dass ich nicht friere, mich wirklich wohl fühle und ganz auf meine Arbeit konzentrieren kann. Und dann werde ich mir meiner Atmung bewusst. Ich atme tief und ruhig in den Bauch ein und in einem langen Strom wieder aus. Das bringt mich in den Moment und lässt mich ankommen.
Die Stimmbänder & Artikulationsmuskeln aufwärmen
Es gibt eine Vielzahl von Artikulations- und Atemübungen, die man durchführen kann und die sich bequem auf YouTube finden lassen. Man könnte sich damit ganz nach Belieben seine persönliche Routine zur Vorbereitung zusammenstellen:
- Zisch-Übungen für die verschiedenen „S“-Laute
- das Summen und vibrieren auf „mmm“ oder „nnn“, „www“ oder „fff“
- das gleichmäßige Ausatmen auf verschiedenen Lauten
- das Lippenflattern „bbbbb“, das Zungenflattern „rrrrr“
- Übungen, die den Kiefer lockern, wie rhythmisches Sprechen auf Silben: „papapapa“
Viele dieser Übungen lassen sich mit Tönen und Tonhöhen variieren, wie beim Einsingen. Sehr hilfreich sind Zungenbrecher. Dieser ist mein Lieblings-Zungenbrecher bei der Arbeit mit Kindern: „Der Kaplan klebt Pappplakate.“
Und hier sind drei ausgewählte Zungenbrecher für dich. Beginne langsam und bemühe dich um die Aussprache glasklarer Konsonanten. Dann steigere dein Tempo!
Einfach!
„Schmitts Specht spricht schlecht, schlecht spricht Schmitts Specht.“ (von Anja Büttner)
Herausfordernd!
„Wenn der Benz bremst, brennt das Benzbremslicht. Das Benzbremslicht brennt, wenn der Benz bremst.“ (Angela Urton)
Vorsicht!
„Hinter dichtem Fichtendickicht picken dicke Finken tüchtig.“ (Verfasser unbekannt)
Einige Menschen schwören auf den Korken zwischen den Zähnen. Das kannst du auch beim normalen Sprechen mal ausprobieren.
Irgendwann stellt sich vielleicht das Bedürfnis nach herzhaftem Gähnen ein? Gib ihm nach und genieße es!
Ganz kurz: Wie mache ich das?
Bei meiner Vorbereitung halte ich mich nicht an eine Routine. Manchmal sind mir Routinen schlichtweg zu langweilig. Ich brauche die Abwechslung. Lieber höre ich in mich hinein: Wonach ist mir heute? Beim Einsprechen geht es um die Stimmung. Ich möchte in eine gute, energievolle Stimmung kommen und dafür brauche ich je nach Tag oder Text verschiedene Hilfsmittel.
Um für das Sprechen in eine solche Stimmung zu kommen, lege ich manchmal sogar Musik auf meine Ohren und dann tanze ich. Oft bekomme ich aber auch Lust, zu singen und dann singe ich.
Wichtig ist mir außerdem, meinen Körper als Resonanzraum zu fühlen. Von wo aus in mir spreche ich, atme ich? Steckt meine Stimme im Hals fest? Atme ich tief aus meinem Bauchraum heraus? Gelingt es mir, auf einem langen Atemstrom zu sprechen? Denn ein langer, ruhiger Atemstrom hält den Kontakt zum Hörer.
Die emotionale & inhaltliche Einstimmung
Wie du siehst, ist mir eine emotionale Einstimmung sehr wichtig. Ein weiterer Aspekt ist die inhaltliche Einstimmung. Hier ist das Ziel, eine Verbindung zum Inhalt des Textes aufzubauen. Manche Sprecher gehen durch den ganzen Text und gestalten ihn. Wenn man sich mit seinem Text beschäftigt, dann kommen Ideen, dann reift etwas in einem. Andere tun das gar nicht. Sie gehen ganz spontan an das Sprechen heran. Alles hat seine Berechtigung. Und je nach Text handelt man sicherlich auch unterschiedlich. Was ich aber immer tue, ist die richtige Aussprache von Fremdwörtern zu recherchieren, alles andere wäre nur peinlich!
Ein Verstehen im Hören ermöglichen
Außerdem geht es darum, einen Sinngehalt zu transportieren. Dafür muss ich nicht nur sprechen können, sondern ich muss während des Sprechens denken. Und ich muss gleichzeitig durch die Gestaltung meiner Sprache ein unmittelbares Verstehen im Hören ermöglichen, ohne dass der Hörer das Gehörte „nachdenken“ muss.
An der Stelle entscheidet sich, ob ein Buch sprachlich gut ist. Denn wenn ein Satz nicht richtig geschrieben oder sinnvoll aufgebaut ist, kann ich ihn nicht entsprechend transportieren. Und dann braucht es nur etwas Engagement, dies mit dem Autor zu klären und zu besprechen, wie man vorgehen möchte.
Was wir nicht tun sollten!?
Es gibt auch Dinge, von denen gesagt wird, dass man sie nicht tun sollte:
- Trinke keinen Kaffee, Alkohol oder zu kalte Getränke direkt vor dem Einsprechen! Empfohlen wird lauwarmes Wasser.
- Schreie nicht unmotiviert, flüstere nicht!
- Überanstrenge die Stimme nicht direkt nach dem Aufwachen!
- Presse nicht! Stimme entsteht durch gute Technik.
Zum Abschluss noch etwas,…
das ich persönlich interessant finde. Je länger ich in einer Session einlese, desto mehr verändert sich meine Stimme. Sie wird tiefer oder voller oder auch wärmer. Manchmal bekommt sie regelrecht einen anderen Klang, besonders, wenn man verschiedene Stimmen oder Emotionen sprechen muss. Das ist für sich genommen nur eine Beobachtung. Es kann jedoch zu einer Herausforderung werden, wenn man nämlich Tage oder Wochen später einen Fehler findet und einen Satz oder Passage neu einsprechen muss! Die würde nun völlig anders klingen. Man würde merken, dass sie im Nachhinein ergänzt oder erneuert wurde. Und dann muss ich üben! Ich muss genau hinhören, um zu erfassen, wie das Alte klang und mich in diesen Stimmklang hineinfinden. Da ist man sein stärkster Kritiker: Erst wenn ich mit der Passage zufrieden bin, speichere ich sie neu ab.
Und ganz zum Schluss: Lass mich wissen, wie die Zungenbrecher geklappt haben 🙂
Liebe Julia
Es war sehr interessant und eindrücklich, etwas über deine Arbeit und die komplexen Zusammenhänge zu erfahren – danke dafür!
Sehr spannend finde ich, dass diese bewusste Einstimmung auf das Sprechen in sehr vielen Lebenssituationen sinnvoll und zielführend sein könnte.
Meinen Kundinnen empfehle ich, sich vor Verkaufsgesprächen bewusst vorzubereiten. Entspannung und Gelöstheit sind wesentliche Komponenten für den Erfolg. Ebenso, zu wissen, was man überhaupt sagen will UND welche Infos man wie transportieren möchte.
Deine Zungenbrecher! Ablesen konnte ich sie einigermassen. Beim auswendig Aufsagen wäre ich aber sowas von lost!
Herzliche Grüsse
Chris
chriscollet.com
Danke, liebe Chris, für deinen Kommentar! Und du hast recht, es wäre in vielen Lebensbereichen sinnvoll, sich bewusst zu sammeln und einzustimmen. Es grüßt dich,
Julia