Heute ist Freitag, der 19. September. Es ist morgens, schweißtreibende 4 Uhr, und ich sitze bereits am „Schreibtisch“. Gestern Abend stand ich im Dunkeln hinten an meiner Küche, als zwei dicke Hunde auf mich zukamen. Dann hörte ich das Trippeln von Hufen auf der harten Erde und dachte: Ach nee, Schafe! Weil sie direkt auf mich zukamen, machte ich meine Kopflampe an – und da standen zwei Wildschweine vor mir, also VOR mir! Erst einmal machte ich einen Satz in mein Auto, um in sicherem Abstand zu beobachten, wie sie um mein Auto herumschnüffelten und -grunzten.
Sie zeigten nicht das Verhalten, das ich erwartete, nämlich, scheu Abstand von mir zu halten. Sie blieben die ganze Nacht. Und sie sind immer noch direkt hier, im hohen Gras. Ich sehe sie nicht, doch ich höre sie schmatzen und atmen. Ich wurde kurz nach drei Uhr geweckt, weil wieder eines direkt an meiner Tür laut schnaufte. Gerade habe ICH stetig meinen Radius nach draußen erweitert, weil ich unbedingt meinen Kaffee kochen wollte, immer schauend, dass mein Fluchtweg ins Auto frei ist, falls ein Schwein neugierig wird. Ich habe mich bemüht, nur auf meinen Kessel zu schauen, weil ich keines plötzlich im Schein meiner Lampe erblicken wollte.
Nun sitze ich hier und alles ist gut gegangen. Hier bedeutet, in Südspanien am Meer, in der Nähe von Nerja. In den letzten drei Tagen bin ich die „Ruta de los Pueblos Blancos“, die Straße der weißen Dörfer gefahren und habe mir sechs davon angeschaut: Gazalema, Zahara de la Sierra, Algodonales, Olvera, Setenil de las Bodegas und Ronda.
Es ist keine Rundfahrt, sondern ein Geflecht aus Straßen, das viele Dörfer verbindet. Diese Orte liegen meist an einem Berg, haben enge Gassen und die Autos parken mitunter auf 20 % Gefälle mit einem Zentimeter Abstand zur Hauswand, dicht hintereinander. Vor allem die kleineren Dörfer sind weiß. Jedes Haus und viele Mauern sind weiß gekalkt. Daher strahlen sie aus der Berglandschaft heraus.



Ich halte es kurz: Richtig gut gefallen hat mir Gazalema. So richtig genervt haben mich Setenil de las Bodegas und Ronda. Ronda nochmal ganz besonders. Es sind Hundertprozent-Touristen-Orte. Etwas, das ich ganz bewusst auf meinen Reisen vermeide.
Gazalema liegt im „Naturpark Sierra de Gazalema“, einer wunderschönen Berglandschaft, in der man überall wandern kann. An der Panoramastraße in den Bergen musste ich anhalten, um die Strecke noch einmal abzulaufen, und begegnete einem alten Mann mit Dackel, den ich dreimal traf, weil der Dackel alle paar hundert Meter eine Pause brauchte, und einer Bergziege, die auf dem Rand dieser Wasserstelle stand und mit einem Satz davonsprang, als ich um die Kurve bog.


Olvera liegt ebenfalls in einer bezaubernden Hügellandschaft und vom Castle aus hat man einen weiten Blick in das Land. Es waren in diesen drei Tagen 36 Grad. Als ich am späten Nachmittag in Olvera ankam, waren die Bürgersteige noch hochgeklappt und Jalousien und Türen fest verschlossen.

Das wurde mir aber erst bewusst, als ich mich gegen halb sieben inmitten eines prallen Lebens wiederfand. Plötzlich waren alle Menschen draußen. Die Leute saßen auf den Treppen, in den Bars an der Straße, auf den Bänken unter den Bäumen, die Kinder liefen Rollschuh und spielten auf den Spielplätzen, die Jugend röhrte und knatterte mit ihren Mopeds durch die Straßen. Die Lieferanten blockierten die Gassen und das Kartonage-Auto sammelte an allen Geschäften die Pappe ein …

In Setenil kann man sich zusammen mit ganz vielen anderen Menschen durch die Straße schieben lassen, in der die Häuser und Restaurants in die überhängenden Felsen gebaut sind.

Auf meinem Weg entlang der höher liegenden Gassen begegnete ich einer jungen Kamikaze-Schwalbe. Über mir saßen sie auf den Leitungen, und von dort aus stürzte sie sich plötzlich vor meinen Füßen in eine Mini-Wasserpfütze. Da die aber nicht sehr tief war, blieb sie nach einem kleinen Knall betäubt liegen. Nach einer Minute berappelte sie sich, blieb aber sitzen. Als dann ein Auto kam, nahm ich sie hoch und setzte sie auf einen Sims. Und von dort aus flog sie wieder davon. Nochmal Glück gehabt, kleine Schwalbe!


Und in Ronda gab es ein Aufgebot streng reglementierender Polizisten, die die Touristen und die Einheimischen an strategischen Punkten in der Stadt auseinanderhielten. Da gab es für mich nur noch: Kehrt, Marsch!
Als ich dann zum Ausgangspunkt einer Wanderung in einer Schlucht aufbrechen wollte, informierte mich mein Handy über Streckensperrungen wegen schwerer Brände. Also entschloss ich mich, nach Süden zu fahren, an Malaga vorbei zum Meer. Den Blick auf Malaga, wenn ich auf der Stadtautobahn vorbeifahre, erlebte ich zum zweiten Mal. Wieder war ich beeindruckt vom Anblick dieser großen, sich weit und hoch direkt am Meer ausbreitenden Stadt.
Und da bin ich nun und befinde mich in einem „Meer“ von Gegensätzen:
- Weiße Strände Portugals vs. dunkelgrauer Beach in Spanien
- Einsame Strände Portugals vs. endlos bebaute Strandregionen
- Geschützte Kiefernwälder und Dünen Portugals vs. Straßenklos überall da, wo man anhalten kann
- Kalter, erfrischender, wilder Atlantik (wenn Menschen darin schwimmen gehen, dann meist mit Neoprenanzug) vs. warmes, unaufgeregtes Mittelmeer
- Schlagartig abkühlende Nächte in Portugal, während in Spanien die Luft nachts steht

Aber Spaniens Küste ist lang und, wie ich ja weiß, sehr unterschiedlich. Da geht es dann morgen weiter entlang.