Warum sich Alleinreisen in Portugal nicht einsam anfühlt

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Heute ist Mittwoch, der 10. September. Ich musste mich kurz orientieren, denn ich hatte den aktuellen Wochentag nicht gleich parat. Am Montag fuhr ich vom Ort meiner letzten Wanderung an Lissabon vorbei und direkt unterhalb davon an den Strand nach Carvalhal.

Blaue Tage

Schlagartig verändern sich Wetter und Vegetation und ich bin jetzt in dem Distrikt, der für mich „Portugal“ ist. Helle Sandböden, bedeckt von braunen Kiefernnadeln und weitläufigen Pinienwäldern.Die Temperaturen sind um vier, fünf Grad gestiegen und ich erlebe hier „Blaue Tage“, Tage, an denen kaum ein Wölkchen am Himmel ist und die Nächte sternenklar sind. Ich bin eine zweite Nacht geblieben. Der heftige Wind der letzten beiden Tage hat sich gelegt. Ich verbringe die Vormittage mit meiner Arbeit und meinen Schreibroutinen, fahre mittags an den Strand und verbringe dort die Stunden bis zum Abend.

Meine Arbeit? Ich schreibe an einem neuen Blogartikel zum Thema „Hörbuch sprechen“, hatte einen TCS-Call (The Content Society) und eine Buchlesung per Zoom. Dazu kommen die „Morgenseiten“ und meine aktuellen Reiseberichte, bzw. die Notizen zu den nächsten Blogbeiträgen. Ich habe tägliche Kontaktroutinen und eine Pflichtlektüre. Am Strand und abends im Bett lese ich die Bücher, die ich mir mitgenommen habe. Es ist ein Luxus, die Zeit zum Lesen zu haben und mich neuen Gedanken und Ideen hingeben zu können. So kam mir auch die Idee für ein ganz persönliches „Portugal-ABC“.

Mit dem Rad durch Reisfelder und Storchenland

Am Montag fuhr ich mit dem Rad „hinter den Dünen“ entlang durch quadratische Reisfelder, ja wirklich, ich habe echte Reispflanzen gesehen. Sie sind umgeben und durchzogen von breiten Süßwasserkanälen, die sie bewässern. Unterschiedlichste Wasserpflanzen, die ich sonst nur aus dem Baumarkt, Abteilung Teichbepflanzung, kenne, blühen und vermehren sich darin. Es ist wie ein eigenes Biotop mit Fröschen, die zwischen die Reispflanzen hüpfen und verschiedenen Vogelarten.

Carvalhal ist ein Ferienort, bestehend aus großen Ferienhäusern und Kränen, die weiterhin neue bauen. Mit dem Fahrrad biege ich in die Seitenstraßen ab und fahre durch die Gebiete, die die Portugiesen bewohnen: klitzekleine Häuschen oder lange Reihenhäuser, mit Wellasbest gedeckt, jede Wohneinheit ist vier Meter breit, zieht sich aber mehrere Meter nach hinten hinaus: Wo sind die Fenster? Es ist ein unübersehbarer Kontrast. Um mich herum höre ich nur Englisch.

Außerdem überwintern hier die Störche und die ersten kommen bereits an. Auf meiner Fahrt sah ich einmal 20 auf einem Feld. Hier gibt es im ganzen Ort Storchennester, einige bereits besetzt. Die ziehenden Störche nutzen die Nester als sichere Schlafplätze. Es gibt aber auch Populationen, die ganzjährig hier leben und dann in den Nestern im Frühjahr brüten.

Alleinsein oder Einsamkeit

Mit dem Rad stoße ich auf einen breiten, kaum befahrenen Wirtschaftsweg, der hinter dem Ort liegt. Er führt zu zwei großen Funkmasten und einem Agrarbetrieb und daran vorbei. Hier ist niemand mehr, hier bleibe ich. Ich habe genug Wasser, genug Essen und muss nicht weiterfahren.

Schaue ich links aus dem Fenster, gehen dort Sonne und Mond unter und rechts erlebe ich die Morgendämmerung und den Sonnenaufgang. Es ist ein friedlicher Ort.

Es gibt zwei Fragen, die mir zu meinen Reisen am häufigsten gestellt werden: Die eine ist, ob ich keine Angst habe, allein zu reisen? Die zweite, ob ich mich nicht einsam fühle, wenn ich so allein unterwegs bin?

Alleinsein ist eine objektive Beschreibung: Man ist physisch ohne andere Menschen. Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl: Man wünscht sich Verbindung, Resonanz oder eine Zugehörigkeit, die nicht da ist.

Gerade auf Reisen erlebe ich das Alleinsein, ohne dass daraus Einsamkeit wird. Eigentlich erlebe ich häufiger ein tiefes Gefühl von Verbundenheit. Demgegenüber kann durchaus ein Einsamkeitsgefühl entstehen, wenn ich unter Menschen bin. Und es geht nicht nur mir so. Andere beschreiben das auch. Dieses Phänomen hat mich neugierig gemacht und so habe ich ein wenig nachgelesen.

Verbundenheit und Resonanz

Es geht um Resonanz, um Erwartung und Bedingungslosigkeit.

Wir fühlen uns nicht einsam, solange wir in Resonanz mit unserer Umwelt sind, solange wir eine Art Antwortbeziehung spüren.

In der Natur nehmen wir Vögel, Wind, Bäume oder Wasser als antwortende Umgebung wahr. Sie „sprechen“ mit uns, ohne Erwartungen oder Bewertungen. Unter Menschen dagegen wird Resonanz davon abhängig, ob andere uns tatsächlich wahrnehmen, anerkennen oder emotional erwidern. Bleibt diese Resonanz aus, empfinden wir Isolation. In Gesellschaft bemerken wir stärker, ob wir dazugehören, anerkannt oder ausgeschlossen sind. Einsamkeit in der Menge entsteht oft durch das Gefühl, nicht verstanden oder abgelehnt zu sein. Die Natur dagegen wertet uns nicht, wir müssen keine Rolle spielen.

Das ist auch neurobiologisch zu begründen: Natur aktiviert das parasympathische Nervensystem, was Gefühle von Gelassenheit und Verbundenheit stärkt. Und anscheinend suchen wir unter Menschen automatisch nach personaler Bestätigung. Bleibt diese aus, registriert unser Gehirn das wie einen „sozialen Schmerz“ – ähnlich wie körperlicher Schmerz. In der Natur können Menschen ein Gefühl von „Einbettung ins Ganze“ erleben – eine Art kosmische Zugehörigkeit, die nicht von menschlicher Interaktion abhängt.

Kurz gesagt: Man fühlt sich in der Natur verbunden, obwohl man allein ist, weil die Umgebung Resonanz ohne Bedingungen bietet. Unter Menschen hingegen kann gerade die fehlende Resonanz inmitten von Nähe die Einsamkeit besonders intensiv spürbar machen.

Die Natur schließt uns ein, ohne etwas von uns zu verlangen.
Menschen können uns ausschließen, gerade weil wir von ihnen Antwort erwarten.

Zur Vertiefung kann man die Resonanztheorie von Hartmut Rosa lesen.

Reisealltag ohne Kühlschrank

Ich fahre ohne Kühlmöglichkeit, auch wenn mein Mann bereits die klitzekleinste, dennoch leistungsstarke Kühlbox recherchiert hat. Das bedeutet, dass ich meist aller zwei Tage einkaufe und zwar so viel, wie ich auch aufessen kann und immer das, worauf ich wirklich Appetit habe! Innerhalb von zwei Tagen verdirbt nichts.

FunFact: Jetzt aber wird es so warm und mein Bus steht immer in der Sonne, dass ich zum Frühstück alles Verderbliche aufessen muss. Aus meiner restlichen Kaffeemilch mache ich mir Milchnudeln. Eine Erinnerung aus der Schulküche meiner Kindheitstage.

Für die nächsten Tage habe ich Gemüse, das sich in der Wärme hält: Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln, Zucchini, Avocados, Knoblauch, Zitronen. Ich habe Trockenzeug, wie Reis, Nudeln oder Quinoa. Und Büchsen, wie Tomatensoßen, Kichererbsen, Fisch. Für meinen Kaffee steige ich in den nächsten Tagen auf Trockenmilch um.

Wenn ich dann wieder einkaufe, gibt es frisches Brot, Baguette oder Croissants, Käse, Frischkäse, auch mal Wurst und Obst.

Nachtrag: Gegen Mittag meines zweiten Tages an diesem Platz hielt ein Geländewagen neben meinem Bus und ein Mann sagte mir, dieser Weg sei privat. Okay, damit war der Startschuss gegeben für den Aufbruch zu einen neuen Ort…

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