Die Fahrtage

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Die Fahrtage sind die Tage, die ich brauche, um anzukommen. Und „ankommen“ möchte ich in Spanien. Von Spanien aus reise ich nach Portugal: Ich werde langsamer und halte an, wo es mir gefällt, um zu wandern, zu schwimmen, radzufahren oder mir etwas anzuschauen. Durch Deutschland und Frankreich fahre ich durch.

Losfahren

Das Losfahren ist ein besonderer Moment. Ich hänge noch im Alten und werde einige Tage brauchen, um im Reisen anzukommen. Eine Reise benötigt einen längeren Zeitraum als ein Kurzurlaub: mindestens vier Wochen, damit sie sich nach Reise anfühlen kann. Das muss organisiert werden und der Zeitraum muss passen. Richtig passt er jedoch nie: Es wird immer andere Dinge geben, die dadurch weniger Priorität bekommen. Und meist ploppen auf den letzten Metern dieser Etappe noch zusätzliche Anliegen auf, die mir das Losfahren erschweren.

Freitag, 29. August

Es ist früher Samstagmorgen und ich stehe, noch immer in Deutschland, auf einem kleinen versteckten Parkplatz im Pfälzer Wald. Die großen, dichten Bäume machen es so richtig dunkel. Überall tropft und knackt und raschelt es. Ab und an fährt ein Auto auf der Straße an der schmalen versteckten Zufahrt zu diesem Platz vorbei. Mein Plan war, 600 Kilometer zu fahren, um in Frankreich zu schlafen. Einige starke Regenfälle und mehrere richtige Staus – es war ja auch ein Freitag – durchkreuzten den Plan. Und so suchte ich mir in der abendlichen Dämmerung meinen Schlafplatz.

Erste Nacht im Pfälzer Wald

Hier habe ich nun übernachtet und bin pünktlich 4:15 Uhr in meinen ersten Tag aufgewacht. Und was soll ich sagen: Trari-Trara! – Meine Sorgen sind noch da! In den ersten Tagen einer Reise muss ich mich jedes Mal einnorden. Normalerweise hatte ich mehr Zeit, weil ich länger unterwegs gewesen war. Dann bin ich aus Leipzig losgefahren und habe irgendwo in Deutschland noch einen Tag in der Natur verbracht. Ich bin spazieren gegangen, habe die Gedanken kommen lassen, das Abschiedsgefühl, das Gefühl des Ungewissen und habe mich ausgerichtet. Und erst, wenn ich so weit war, habe ich die deutsche Grenze überquert.

Ich erinnere mich an meine erste Reise vor 3 Jahren. Ich war zu meinen Eltern in die Altmark gefahren, um mich auch von ihnen zu verabschieden, weil ich nicht wusste, wann ich zurückkommen würde. Und als wirklich jeglicher Abschied vollzogen war, kam ein Moment, den ich nie vergessen werde. Ich fuhr los – und musste hinter einem kleinen Dorf an einem Feld anhalten: Ich konnte nicht weiter, weil ich nicht wusste, WOHIN?!

Es ging nicht um die Richtung, sondern um das Gefühl, dass ich jetzt heimatlos war, kein Haus hatte, zu dem ich fahren und keinem Menschen, bei dem ich ankommen würde. Es gab kein Ziel! Ich musste ankommen in einer neuen Realität, in der nichts vorgegeben und nichts sicher war. Jegliche Entscheidung musste ich selbst treffen. Später merkte ich, dass die Umstände ihr Wörtchen dabei mitreden. Und erst, als dieses Gefühl vollkommen durch mich durchgegangen war, konnte ich starten und von Tag zu Tag mehr lernen, dieses neue Leben zu ergreifen und auszufüllen.

Und so ist es auch heute: Meine Sorgenkinder ploppen auf! Also sitze ich hier und nehme mir die Zeit, fast egal, wie lange es dauert. Ich fühle und schreibe auf. Mich dem widmen zu können ist das, was mich wirklich entschleunigt und mir – hoffentlich auch dieses Mal – die innere Ruhe bringt. Dabei merke ich, dass es nicht so ohne ist, mir diese „Selbstverpflichtung“ auferlegt zu habe, während der Reise zu bloggen.

Abgesehen davon dient die erste Übernachtung dem Einräumen: Alle Gegenstände müssen jetzt an ihren angestammten Platz im Bus, wo sie auch mit geschlossenen Augen gefunden werden können. Nichts finde ich so anstrengend, wie in meinem Busalltag Dinge suchen zu müssen. Entsprechend sorge ich für Ordnung und habe unzählige kleine Routinen, die sich daran knüpfen. So gibt es in meinen Kisten ein Rechtsoben und Linksunten, wo Dinge zuverlässig zu finden sind. Kulis oder Kopflampen gibt es an mehreren Stellen, je öfter Gegenstände benutzt werden, desto leichter sind sie zugänglich, eigentlich logisch. Wenn ich mich in der ersten Nacht ins Bett lege, weiß ich: Jetzt ist alles genau da, wo es sein soll.

Samstag, 30. August

Am Samstag fuhr ich quer durch Frankreich: überwiegend flaches Land, soweit das Auge reicht, riesige Agrarflächen und Windräder, Kiefernwälder in Monokultur. Ganz selten mal lauschige Landstraßen mit hohen Hecken oder Platanen-Alleen. Normalerweise muss ich spontan anhalten und wandern, weil ich denke: Das musst du nutzen, wer weiß, wann du hier wieder entlangkommst! Die Gefahr bestand nicht, eine komische Strecke. Zudem war der Himmel bedeckt und es gab hier und da Regen. Ich konnte mich also ganz aufs Fahren konzentrieren.

Dann kam der Abend und ich wollte meinen fast leeren Tank füllen. Ich hatte die Wahl zwischen geöffneten Tankstellen mit hohen Preisen oder 24h-Tankautomaten. Ich probierte mehrere Tankautomaten aus, und musste realisieren: Meine Visa-Karte funktionierte nicht! Sie wurde zwar erkannt, doch die Transaktionen wurden abgelehnt. Ich hatte tanken und noch weiterfahren wollen. Davon verabschiedete ich mich: Wenn solche „Kleinigkeiten“, wie Tanken, am Abend nicht klappen, suche ich mir lieber einen ruhigen Schlafplatz und starte am nächsten Morgen mit frischer Energie.

Ich fuhr also ab und in die anliegenden Felder. Hier traf ich einen älteren Franzosen mit seinem dickgefütterten Hund. Weil ich ihn nicht verstand, sprach er immer lauter. Es tat mir leid, ich konnte ihn trotzdem nicht verstehen. Als er von seinem Spaziergang zurückkehrte, rief ich ihm zu: „Bonne Nuit!“ Irritiert kam er mit seiner Übersetzungs-App: Ich sollte hineinsprechen, denn er hatte verstanden: „Bon Louis!“

Sonntag, 31. August

Gegen 7 Uhr fuhr ich los, um mein Glück beim Tanken erneut zu versuchen. Die wenigen offenen Tankstellen waren über Nacht noch teurer geworden und die Selbstbedienungstanken nahmen auch heute meine Karte nicht. Also wartete ich, dass irgendjemand sonst am frühen Sonntagmorgen tanken wollte. Endlich kam ein Auto. Heraus stieg ein kleiner runder Franzose. Überrascht, dass ich ihn ansprach, erklärte er: Nein, er könne kein Englisch! Er zückte sein Handy und sprach französisch hinein – es kam französisch heraus! Er war verdutzt. Dann zückte ich meine Übersetzungs-App und sprach deutlich hinein: „Meine Karte funktioniert nicht. Können Sie mein Auto tanken und ich gebe Ihnen Cash!“ Er redete auf mich ein. Ich zeigte auf sein Handy: Ach ja! Er sprach französisch hinein – es kam französisch heraus! Ich schaute ihn genauer an und verstand plötzlich, was er sagte: Er wollte mein Geld sehen!

Na klar, hier! Und los gings. Wir tankten, ich gab ihm das Geld und bedankte mich sehr! Doch er war noch nicht zufrieden, nahm sein Handy, sprach französisch hinein – es kam französisch heraus und er wurde ganz wuschig! Doch ich bedeutete ihm: Alles klar und Merci! Ich hatte zwar nicht den ganzen Satz verstanden, zwei Worte aber schon: „Bon voyage!“

Am äußersten südwestlichen Zipfel von Frankreich konnte ich nicht widerstehen und bog von meiner Route ab, zum Atlantik. Und da war er wieder: tosende, schäumende, heranrollende Wellen, starker feuchter Wind, die typische strauchige Vegetation, in der sich kleine Sandpfade entlangwinden, die Felsen mit den Wanderzeichen der Küstenpfade, die Surfer…

Allerdings war es nur ein kurzes Wiedersehen, dann brach sintflutartiger Regen vom Himmel, der sich in den Bergen Spaniens, die ich kurze Zeit später erreichte, noch verstärkte. Und da bin ich nun, endlich in Spanien! Nachdem der Regen vorbei war, machte ich meinen ersten richtigen Halt.

Ich wanderte mit meinem Regenschirm zu einem See, nahm ein stürmisches Bad und wanderte wieder zurück. Die finsteren Wolken zogen vorbei.

Zurück am Auto machte ich mir ein ruhiges Essen, einen heißen Kakao und nun sitze ich hier und schreibe. Keine Weiterfahrt mehr. Endlich Stille: kein Vogel, kein Gesumme, nicht mal ne Mücke, kein Wind geht mehr…

Gute Nacht!

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